Autismus und ADHS: Gleich und gleich gesellt sich gern oder Unterschiede ziehen sich an?
Es entsteht oft sofort ein anderes Gefühl von Vertrautheit, wenn sich Menschen mit Autismus, ADHS & AuDHS begegnen. Eine Art stilles Einverständnis, das nicht erklärt werden muss, weil es sich sofort richtig anfühlt. Kein angestrengtes Taktieren, kein bemühtes So-tun-als-ob, kein höfliches Nicken an den falschen Stellen und verkrampftes Gestikulieren, kein ständiges Sich-zurücknehmen-müssen, weil man zu viel ist. Stattdessen ein Blick, der sagt, ich sehe dich und ich finde dich vollkommen ok und nachvollziehbar. Und genau dieses Gefühl kenne ich aus unzähligen Begegnungen, aus Gesprächen, aus stillen Momenten, aus traurigen und lustigen. Und aus diesen leicht schrägen, wunderbar ehrlichen Situationen, die man außerhalb neurodivergenter Räume oft leider vergeblich sucht.
Es ist fast ein bisschen absurd, wie sehr sich Autismus und ADHS in manchen Bereichen gegenseitig spiegeln und gleichzeitig ergänzen. Beide bringen eine andere Art von Wahrnehmung mit sich, eine andere Geschwindigkeit im Denken oder Fühlen, eine andere Art, die Welt zu sortieren. Und genau darin liegt diese stille Kompatibilität. Da findet man jemanden mit einem Gehirn, das so fühlt, denkt, rechnet, träumt oder überfordert ist wie das eigene und plötzlich ist da kein Erklärungsbedarf mehr. Kein Versuch, sich kleiner, leiser oder unauffälliger zu machen. Kein Maskieren bis zur Erschöpfung. Stattdessen ein entspanntes Nebeneinander von Eigenheiten, die völlig normal für einen sind, die aber sonst gern als sonderbar gelten und unbedingt rechtfertigend erklärt werden sollen.
Ich erlebe es immer wieder, dass Menschen mit Autismus und ADHS sich mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit begegnen. Da darf man springen zwischen Themen, darf tief eintauchen oder sich im Detail verlieren, darf Begeisterung zeigen, darf abschweifen und doch wieder zurückkommen. Der eine redet schnell und viel, der andere spricht leiser, überlegter und mit einer Klarheit, die unter die Oberfläche geht. Und beide verstehen sich plötzlich besser als mit vielen anderen Menschen, die sich selbst als ganz durchschnittlich und unauffällig betrachten, aber in ihrem sozialen Miteinander so komplex und irgendwie unlesbar und nicht immer ganz nachvollziehbar wirken, sodass man sich daneben oft wie ein fremdes Wesen fühlt und überlegt, was stimmt denn nicht.
Ich selbst erlebe neurodivergente Menschen oft als die eigentlich „Normalen“. Als diejenigen, die sich nicht hinter Konventionen verstecken, sondern ehrlich sind in ihrer Art, die Welt zu erleben. Die auch sagen können, wenn etwas zu viel ist, statt tapfer zu lächeln und innerlich zu zerbrechen. Die nachfragen, wenn ihnen etwas unklar ist, statt sich durch soziale Nebel zu manövrieren, deren Regeln sich ohnehin ständig verändern. (Vorausgesetzt, es gelingt, nicht überwiegend zu maskieren.) Und genau darin liegt für mich diese tiefe Nachvollziehbarkeit, die mich immer wieder aufs Neue berührt und gleichzeitig oft auch zum Schmunzeln bringt und zu einem ‚Ja, ist so!‘
Denn ja, natürlich prallen auch Unterschiede aufeinander. Der Mensch mit ADHS, der in drei Gedanken gleichzeitig lebt, während jemand mit Autismus gerade versucht, einen davon zu Ende zu sortieren oder auch beides gleichzeitig. Die eine Person, die sich voller Begeisterung in neue Projekte stürzt, während die andere Sicherheit in Bekanntem sucht. Und trotzdem entsteht daraus etwas unglaublich Stimmiges, weil beide Seiten sich nicht ständig bis zur Erschöpfung erklären müssen, warum sie die Dinge so erleben wie sie es tun. Sie erleben sie einfach so, Punkt. Es ist wie ein stilles Wissen, dass Überforderung echt ist, dass Rückzug kein Drama ist, dass Reizkontrolle kein Luxus ist und dass soziale Situationen manchmal einfach unglaublich anstrengend sind.
Was ich dabei besonders schön finde ist diese gemeinsame Erfahrung von Sein, vielleicht auch anders als die Mehrheit, aber ohne Drama. Es ist kein ‚Wir gegen die Welt‘ im kämpferischen Sinne, sondern eher ein ruhiges ‚Ach so, bei dir ist das also auch so‘. Eine geteilte Sprache, die nicht nur aus (indirekten und blümeranten) Worten besteht, sondern aus Klarheit, Pausen und einem großen Verständnis für sensorische Feinheiten, emotionale Überflutung oder den Wunsch, einfach kurz mal nicht reden zu müssen, ohne dass gleich Besorgnis oder Unbehagen entsteht und man sich unwohl im Schweigen fühlt.
In solchen Begegnungen wird oft viel gelacht, weil Dinge plötzlich ausgesprochen werden dürfen, die sonst ungesagt bleiben. Weil Ehrlichkeit nicht als unhöflich empfunden wird, sondern als wohltuend klar und selbstverständlich. Weil Ironie nicht missverstanden, sondern erkannt wird, und Humor nicht als bloße soziale Kulisse funktioniert, sondern als ehrlicher Augenblick des Teilens.
Da kann jemand ganz offen sagen, dass Menschen oft einfach unlogisch sind, und statt peinlicher Stille entsteht ein befreiendes Lachen, weil allen klar ist, wie das gemeint ist. Und da darf auch jemand genervt sein, weil die eigene direkte Art so häufig für Sarkasmus gehalten wird, obwohl sie gar nicht ironisch sein soll, sondern man schlicht genau das ausdrückt, was man grade denkt.
Und sicherlich ist es genau das, was diese besondere Verbindung ausmacht. Kein ständiges Anpassen, kein subtiler sozialer Druck, kein Versuch, in ein Raster zu passen, das für das eigene Nervensystem ohnehin nie gedacht war. Stattdessen ein Raum, in dem jede Eigenschaft einfach da sein darf. In dem man sich gegenseitig nicht therapieren möchte, sondern sich auf Augenhöhe begegnet und in der Unterschiedlichkeit eine stille Verwandtschaft erkennt.
Ich habe oft das Gefühl, dass neurodivergente Menschen über eine besondere Form von Empathie verfügen, die nicht laut und dramatisch daherkommt, sondern tief und leise ist. Eine Empathie, die sich nicht in oberflächlichen Gesten zeigt, sondern in echtem Verständnis füreinander. In dem Wissen, wie es sich anfühlt, auch mal komplett überfordert zu sein. In dem Wissen, wie anstrengend es ist, dauerhaft zu kompensieren und sich anzupassen. In dem Wissen, wie befreiend es sein kann, wenn man das alles einfach mal nicht machen muss.
Und während die sogenannte ‚Mehrheitsgesellschaft‘, also der Rest ;-), oft an ihren eigenen Regeln scheitert und sich dabei gegenseitig einredet, das sei ganz normal, sitzen Autismus- und ADHS-Menschen nebeneinander, trinken vielleicht zu kalten Kaffee, diskutieren über Spezialinteressen oder verlieren sich in einem unerwartet tiefgründigen Gespräch über das Leben, das Universum und warum Small Talk eigentlich eine kollektive Zumutung ist. Und in genau diesen Momenten wird etwas sehr Kostbares spürbar. Ein Zuhausegefühl mitten in einer Welt, die sonst so oft zu laut, zu schnell und zu widersprüchlich erscheint.
Für mich fühlt sich der Kontakt zu neurodivergenten Menschen oft an wie ein Aufatmen. Wie ein Ankommen, einfach da sein können und echt sein dürfen (eben ganz „normal“). Wie das Wissen, dass ich nicht erklären muss, warum mir bestimmte Dinge wichtig sind, warum ich anders wahrnehme, anders denke, anders empfinde und auch akzeptiere, wenn es bei dir anders ist. Es ist eine Verbindung, die nicht laut und perfekt sein muss und die nichts beweisen will. Sie entsteht nicht aus sozialen Spielchen heraus, sondern einfach aus Echtheit. Und genau das macht sie so besonders. Denn hier wird nicht versucht, sich passend zu machen, da man gar nicht falsch ist. Allein diese Selbstverständlichkeit nimmt oft schon das Gefühl, irgendwie nicht dazuzugehören.

