Impostor-Gefühle bei Autismus: Warum dein Zweifel eher für dich spricht

Autismus und Impostor-Gefühle: Warum dein Zweifel eher für dich spricht

Warum dein Zweifel mehr über dich verrät, als du denkst – das Impostor-Syndrom bei Autismus

Oft sitzt da jemand vor mir, schaut mich an mit so einem vorsichtigen Blick, ein bisschen wie jemand, der nicht sicher ist, ob er gerade erwischt wird oder sich selbst etwas vormacht. Und dann kommt dieser eine Satz, ganz leise: „Ich glaube, ich fake das alles nur.“ Und ich weiß sofort, was gemeint ist. Dieses Gefühl, dass man gar nicht wirklich autistisch ist. Dass man es sich nur einredet. Dass man zu funktional ist, zu sozial, zu freundlich, zu angepasst. Dass man vielleicht einfach nur ein bisschen anstrengend oder empfindlich oder, na ja, „komisch“ ist, aber eben nicht autistisch. Und zack, ist man mitten drin im Impostor-Syndrom.

Das ist kein exklusives Clubproblem von Start-up-Gründerinnen oder Instagram-Coaches, sondern etwas, das erschreckend viele autistische Menschen betrifft. Besonders Frauen, aber ehrlich gesagt auch viele Männer, nicht-binäre Personen sowieso. Vor allem diejenigen, die erst spät im Leben erkennen, dass da etwas ist, was schon immer da war, aber nie so richtig benannt wurde. Dieses Gefühl, dass man irgendwie nie so ganz dazugehört hat, nie so ganz verstanden wurde, aber trotzdem immer irgendwie durchgekommen ist. Mit viel Anstrengung, viel Beobachtung, viel Anpassen. Masking nennt sich das, also das ständige Verstecken, Überspielen, Funktionieren. So lange, bis man es selbst kaum noch merkt.

Und dann liest man irgendwann was über Autismus, stolpert über eine Checkliste, einen Blog, ein Video, und plötzlich macht alles Sinn. Man denkt sich: „Das bin ja ich“. Genau so war das damals in der Schule. Genau so fühlt sich das an, wenn ich in einem Großraumbüro sitze oder auf einer Party stehe oder jemand sagt „Wir treffen uns spontan“. Und für einen kurzen Moment ist das wie ein Aufatmen. So, als würde sich ein riesiges Puzzleteil endlich in Position schieben. Aber kaum ist das Gefühl da, kommt der Zweifel hinterher. Vielleicht ist das doch nur Zufall. Vielleicht bilde ich mir das ein. Vielleicht suche ich nur eine Ausrede. Vielleicht will ich einfach dazugehören, zu dieser neurodivergenten Community, die irgendwie so klug und sensibel und reflektiert wirkt.

Und dann schaut man sich um und denkt: „Die anderen, die sind doch viel ‚autistischer‘ als ich“. Die sprechen nicht so viel. Die haben viel krassere Routinen. Die sind auf Geräusche empfindlicher. Die stören sich an Dingen, die ich nicht mal bemerke. Die leiden doch richtig. Und ich? Ich mach doch irgendwie einfach nur mein Ding, auch wenn’s manchmal schwer ist. Das Problem dabei – man sieht bei anderen oft nur die Oberfläche, aber bei sich selbst das ganze Innenleben. Die Erschöpfung nach sozialen Kontakten. Die vielen Momente, in denen man nicht mehr kann, aber trotzdem noch lächelt. Die Strategien, um im Alltag klarzukommen, ohne dass jemand was merkt. Das ewige Sich-selbst-Hinterfragen und Selbst-Überwachen. Und das alles zählt. Nur sieht man es eben nicht auf den ersten Blick.

Viele Betroffene wurden jahrelang übersehen, weil sie so gut darin sind, sich anzupassen. Weil sie gelernt haben, wie man „normal“ wirkt, wie man in Gesprächen nicken muss, wann man lachen sollte, wie man Gestik passend einsetzt, wie man Blickkontakt halten muss, wie man anderen das Gefühl gibt, sich für deren Themen zu interessieren, obwohl es kaum etwas Langweiligeres gibt. Wie man in der Welt irgendwie mitläuft, ohne aus dem Rahmen zu fallen und abgelehnt zu werden. Und irgendwann hat man so lange funktioniert, dass man selbst nicht mehr sicher ist, ob das, was man da erlebt, wirklich echt ist. Genau da schlägt das Impostor-Syndrom zu. Es sagt nicht, dass du keine Probleme hast, es sagt dir nur, dass du sie nicht ernst nehmen darfst. Es flüstert dir ein, dass du übertreibst. Dass du dich wichtig machst. Dass du dich bloß nicht zu früh freuen solltest, denn vielleicht bist du ja einfach nur… empfindlich.

Und was sehr wichtig ist zu wissen – diese Zweifel hören oft nicht mit der Diagnose auf. Ganz im Gegenteil. Viele Menschen, die eine gesicherte Diagnose bekommen haben, zweifeln danach zum Teil noch stärker an sich. So nach dem Motto: „Die haben sich bestimmt geirrt. Ich habe die Testung zu gut gemacht. Ich habe nur Glück gehabt. Oder ich hab’s denen einfach eingeredet und mich anders dargestellt, als ich bin.“ Und ehrlich – dieser Gedanke ist eigentlich so ziemlich das Autistischste, was man denken kann. Denn genau dieses ständige Reflektieren, dieses Sich-selbst-Infragestellen, dieses Gefühl, nie ganz zu passen, nie ganz sicher zu sein – das ist Teil des autistischen Erlebens. Das heißt, wenn du an dir selbst zweifelst, obwohl so vieles passt, obwohl die Diagnose da ist, obwohl du dich wiedererkennst – dann spricht das meistens eher für als gegen Autismus.

Ganz im Gegensatz übrigens zu denjenigen, die völlig überzeugt reinkommen und mit dem Brustton der Überzeugung sagen: „Ich bin autistisch, keine Frage!“ – und dann stellt sich im Verlauf der Diagnostik heraus, dass da zwar viele Schwierigkeiten sind, aber eben anderer Natur. Meist liegt dann eine Persönlichkeitsstörung zugrunde. Auch das ist nichts Schlimmes oder Stigmatisierendes, sondern einfach eine andere Art, wie sich psychisches Erleben zeigen kann. Aber der Unterschied ist eben spürbar. Die, die wirklich autistisch sind, sind oft voller Zweifel. Die anderen eher voller Sicherheit.

Das Gemeine ist – viele autistische Menschen wurden in ihrem Leben so oft falsch verstanden, nicht ernst genommen oder als zu viel oder zu wenig beschrieben, dass sie irgendwann gar nicht mehr wissen, ob sie sich selbst trauen können. Und wenn dann die Diagnose kommt, ob offiziell oder durch sorgfältige Selbstrecherche, dann ist da oft nicht zuerst nur Erleichterung, sondern dieser riesige Zweifel. Und der wird auch noch befeuert durch Kommentare aus dem Umfeld. „Aber du bist doch so empathisch.“ Ja, und? „Aber du hast doch Freund:innen.“ Ja, vielleicht, aber ich bin danach zwei Tage nicht mehr ansprechbar. „Aber du bist doch so kommunikativ.“ Ja, mit einem Skript im Kopf und einem inneren Team, das alle Eventualitäten durchrechnet und doch schreien könnte, wenn etwas völlig anders als erwartet abläuft.

Es ist nicht schwarz-weiß. Es gibt nicht die eine Art, autistisch zu sein. Und nur weil du gelernt hast, dich irgendwie durchzuschlagen und das zu hohen mentalen und physischen Kosten, heißt das nicht, dass du keinen Anspruch auf Verständnis, Unterstützung oder Selbstakzeptanz hast. Du darfst dir glauben. Du darfst dich ernst nehmen. Auch, wenn das manchmal schwerfällt. Und du darfst gleichzeitig zweifeln, das macht dich nicht weniger authentisch. Viele autistische Menschen kämpfen genau mit diesem Spagat, sich selbst sehen und anerkennen, was ist – und gleichzeitig ständig das Gefühl haben, es könnte ein Irrtum sein.

Aber du bist kein Irrtum. Du bist jemand, der lange versucht hat, sich in einer Welt zurechtzufinden, die oft keinen Raum lässt für Andersartigkeit, für feine Antennen, für intensive Wahrnehmung, für klare Sprache statt Smalltalk, für Rückzug statt Dauerbeschallung. Dass du es geschafft hast, zu funktionieren, ist keine Widerlegung deiner Autismusmerkmale, es ist ein Beweis für deine unglaubliche Anpassungsleistung. Und dass du jetzt beginnst, dich zu fragen, wer du wirklich bist unter all diesen Schichten – das ist kein Betrug. Das ist der Anfang.

Vielleicht fühlt es sich nicht immer klar an. Vielleicht wirst du auch morgen wieder zweifeln. Vielleicht wirst du noch oft denken: „Was, wenn ich das alles nur spiele?“ Aber weißt du was? Die Tatsache, dass du diese Fragen stellst, zeigt doch, wie ernst du dich nimmst. Wie sehr du verstehen willst. Und wie sehr du dir wünschst, dich endlich nicht mehr fremd zu fühlen in deinem eigenen Leben. Du bist nicht zu wenig. Du bist nicht zu viel. Du bist einfach du. Und das reicht.