Neurodiversität: Vielfalt im Kopf, oder warum anders denken ganz normal ist!

Neurodiversität: Vielfalt im Kopf, oder warum anders denken ganz normal ist!

Neurodiversität: Warum anders denken die neue Normalität ist!

Neurodiversität ist eines dieser Worte, das auf den ersten Blick so technisch klingt, dabei steckt dahinter eigentlich etwas ganz Wunderbares, nämlich die Vielfalt des Denkens, Fühlens und Wahrnehmens. Kein Gehirn funktioniert genau wie das andere, und das ist nicht nur okay, sondern macht unsere Welt auch um einiges bunter. Trotzdem wird oft so getan, als gäbe es nur eine „richtige“ Art, Dinge zu tun, zu denken oder zu fühlen und alle, die irgendwie aus der Reihe tanzen, gelten als schwierig oder gar defizitär. Dabei sind genau diese Unterschiede das, was uns als Gesellschaft voranbringt. Neurodiversität umfasst viele verschiedene neurologische Variationen, von Autismus und ADHS über Dyslexie, Legasthenie, Dyskalkulie und Dyspraxie bis hin zu Hochsensibilität und Synästhesie. Und jede einzelne davon bringt ganz eigene Herausforderungen, aber auch Stärken mit sich.

Da wäre zum Beispiel Autismus. Viele denken dabei an jemanden, der nicht gern spricht oder Schwierigkeiten mit sozialen Situationen hat. Doch Autismus ist so individuell wie die Menschen, die ihn haben. Während einige sensorische Reize als unangenehm empfinden, erleben andere sie intensiver als der Durchschnitt. Manche können stundenlang über ihr Spezialinteresse sprechen, während andere eher nonverbal sind.

Während andere sich oberflächlich für Dinge interessieren, können Autisten innerhalb von Minuten ein Fachreferat über die exakte Zusammensetzung mittelalterlicher Tinten halten oder detailliert erklären, warum Zuglinien in Europa effizienter sind als in Nordamerika. Stellt euch vor, ihr habt eine riesige Datenbank im Kopf, die sich alles merkt, was euch jemals interessiert hat, aber Smalltalk-Gespräche mit unbekannten Menschen sind so, als würde jemand versuchen, Windows 98 auf einem modernen Smartphone zu installieren. Kommunikation verläuft oft anders als neurotypische Menschen es gewohnt sind, und das kann zu Missverständnissen führen.

Das Problem? Soziale Codes, die für viele Menschen ganz normal sind, fühlen sich für Autisten oft so an, als wären sie auf einer fremden Sprache programmiert. Ironie und Sarkasmus werden manchmal wortwörtlich genommen, was zu unfassbar lustigen, aber auch unangenehmen Situationen führen kann. Aber mal ehrlich, wer von uns hat nicht schon einmal das Gefühl gehabt, auf einer ganz anderen Wellenlänge zu sein?

Dann gibt es ADHS. Die gängigen Klischees zeigen ein unruhiges Kind, das nicht stillsitzen kann. Aber ADHS hat viele Gesichter. Es geht nicht nur um Hyperaktivität, sondern auch um Impulsivität, Konzentrationsschwierigkeiten und eine kreative, oft sprunghafte Gedankenwelt. Erwachsene mit ADHS können sich stundenlang in einer Aufgabe verlieren (Hyperfokus!) oder vergessen, warum sie gerade in die Küche gegangen sind.

Das ist so ein bisschen wie ein Browser mit 37 offenen Tabs, von denen mindestens drei hängen, einer plötzlich Musik abspielt, und keiner weiß, woher das kommt. Konzentration? Fehlanzeige. Die Gedanken springen hyperaktiv von einem Thema zum nächsten. Routinearbeiten fühlen sich an wie ein 24-Stunden-Marathon und ziehen sich wie der zähesten Kaugummi der Welt. Struktur ist oft eine Herausforderung, To-do-Listen existieren, werden aber selten abgearbeitet. Doch gerade diese Menschen bringen oft eine unglaubliche Energie und Begeisterung für neue Ideen mit.

Dyskalkulie und Dyslexie bzw. Legasthenie sind weitere Beispiele für Neurodiversität. Wobei Legasthenie eine angeborene, neurologisch bedingte Schwäche in der Verarbeitung von Sprache und Schrift darstellt und Dyslexie eher ein Oberbegriff für alle Arten von Lese- und Rechtschreibproblemen umfasst, also auch solche, die durch mangelnde Förderung, also Umweltfaktoren, entstehen kann.

Menschen mit Dyslexie haben oft Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben, sind aber nicht weniger intelligent. Sie denken häufig in Bildern und können kreative Lösungen für Probleme finden, auf die andere gar nicht kommen würden.

Wer denkt, dass das nur ein „Buchstabenverdreher-Syndrom“ ist, hat sich getäuscht. Tatsächlich geht es um eine ganz andere Art der Informationsverarbeitung. Beim Lesen kann es sich so anfühlen, als würden die Buchstaben tanzen oder einfach verschwinden, während andere problemlos Romane verschlingen. Aber während das Lesen manchmal zur Herausforderung wird, denken Menschen mit Legasthenie oft außergewöhnlich bildhaft. Sie können sich Konzepte in 3D vorstellen, sind Meister im kreativen Denken und haben oft eine unglaublich starke Vorstellungskraft. Nur doof, wenn das Schulsystem stur auf „Lesen und Schreiben = Intelligenz“ setzt.

Menschen mit Dyskalkulie hingegen haben Schwierigkeiten mit Zahlen. Nicht, weil sie nicht schlau wären, sondern weil ihr Gehirn Zahlen anders verarbeitet. Das kann im Alltag eine Herausforderung sein, wenn man beim Einkaufen nie sicher ist, ob das Wechselgeld stimmt, oder beim Rezeptlesen zwischen Gramm und Milliliter durcheinanderkommt.

Dyskalkulie ist das, was passiert, wenn Mathe plötzlich ein Portal in eine dunkle Dimension öffnet. Zahlen machen einfach keinen Sinn. 3 + 4? Na ja, irgendwas zwischen 5 und 9? Manche Menschen mit Dyskalkulie haben ein außergewöhnliches Gefühl für Kunst, Sprache oder Musik, aber sobald es um Rechnungen geht, fühlt es sich an, als wäre das Gehirn auf Standby-Modus. Mathebücher könnten genauso gut in einer fremden Sprache geschrieben sein. Zum Glück gibt es Taschenrechner. Und Menschen, die keine Mathe-Genies sind, aber trotzdem Großartiges leisten.

Zu Neurodiversität zählt ebenso Dyspraxie. Diese betrifft die Koordination und Motorik. Es sind die Menschen, die irgendwie immer gegen Türrahmen laufen, Schwierigkeiten haben, eine Schleife zu binden oder sich einfach nicht merken können, wie eine Sportübung funktioniert. Ihr Körper und ihr Gehirn sprechen nicht immer dieselbe Sprache, was alltägliche Dinge wie Schuhe zubinden oder mit Messer und Gabel essen zur echten Herausforderung machen kann. Doch viele haben ein außergewöhnliches Talent für logisches Denken oder kreatives Problemlösen, weil sie gelernt haben, Dinge auf ihre eigene Art zu machen.

Dann gibt es noch die Hochsensibilität. Menschen mit dieser Eigenschaft nehmen Reize besonders intensiv wahr, sei es Lärm, Licht oder Emotionen. Während andere an einem geschäftigen Bahnhof einfach vorbeilaufen, nimmt eine hochsensible Person jedes Gespräch, jede Bewegung und jedes Geräusch gleichzeitig wahr. Das kann anstrengend sein, aber auch eine besondere Gabe. Viele Hochsensible sind ausgesprochen empathisch und haben ein feines Gespür für Stimmungen. Sie merken sofort, wenn jemand schlecht drauf ist, selbst wenn derjenige es selbst noch nicht bemerkt hat.

Hochsensibilität ist wie ein Gehirn mit Superkräften, das aber leider keine Aus-Taste hat. Jede Emotion, jedes Geräusch, jeder Geruch wird verstärkt wahrgenommen. Der Nachteil? Zu viele Reize führen schnell zur Überforderung, und dann ist erstmal Timeout angesagt. Wobei Hochsensibilität laut ICD keine eigenständige Diagnose darstellt. (Man munkelt, ob nicht doch Autismus hier mit hineinspielt…)

Das Tourette-Syndrom gehört ebenfalls zur Neurodiversität. Die meisten kennen es aus Filmen, wo Menschen unkontrolliert Schimpfwörter rufen. In Wirklichkeit betrifft das nur einen kleinen Teil der Betroffenen. Viele haben motorische oder vokale Tics, die sich durch Blinzeln, Zucken oder Geräusche äußern. Diese sind oft nicht steuerbar und verstärken sich unter Stress. Doch viele Menschen mit Tourette haben eine unglaubliche Beobachtungsgabe, sind oft sehr intelligent und haben eine Art, die Welt zu sehen, die erfrischend unkonventionell ist. Mit der richtigen Unterstützung können Menschen mit Tourette ihr Leben genauso meistern wie alle anderen, mit ein paar unkontrollierten „Extras“.

Schließlich gibt es noch die Synästhesie, eine faszinierende Art der Wahrnehmung, bei der Sinne sich miteinander vermischen. Zahlen haben Farben, Musik hat Geschmack, Wörter haben Texturen. Wer synästhetisch veranlagt ist, kann vielleicht hören, wie eine Farbe klingt oder schmecken, wie sich ein Akkord anfühlt. Für manche klingt das wie Magie, für Betroffene ist es schlicht der Alltag. „Montag“ ist dann plötzlich blau, und der Name „Lea“ schmeckt nach Erdbeeren. Klingt verrückt? Ist es auch, aber auf die beste Art und Weise. Synästhesie ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie unterschiedlich das Gehirn Informationen verarbeiten kann.

Neurodiversität ist also weit mehr als eine Diagnose oder ein Etikett. Es ist eine andere Art, die Welt zu erleben. Menschen, die neurodivergent sind, bringen frische Perspektiven, ungewöhnliche Denkweisen und innovative Lösungen mit. Und genau das ist es, was unsere Gesellschaft bereichert!