AuDHS

AuDHS: Zwischen Fokus und Chaos

AuDHS: Die Kunst, zwei Gegensätze in Balance zu halten

Manchmal ist es, als würden zwei Welten im selben Kopf wohnen. Die eine liebt Ordnung, Klarheit und Routinen. Die andere sehnt sich nach Bewegung, nach Ideen, nach einem ständigen Funken, der das Denken lebendig hält. Und wenn diese beiden Welten gleichzeitig aktiv sind, wird es kompliziert. So fühlt sich AuDHS für viele an, die Kombination von Autismus und ADHS.

Beides für sich genommen ist schon besonders. Zusammen ist es manchmal ein bisschen wie gleichzeitig Gas geben und bremsen. Der autistische Anteil sucht Ruhe, Struktur und Vorhersehbarkeit, während der ADHS-Anteil sich nach Abwechslung und spontanen Reizen sehnt. Das führt zu einem ständigen inneren Spannungsfeld. Der Kopf weiß genau, wie es idealerweise laufen sollte, aber der Körper oder die Aufmerksamkeit folgen einfach nicht. Es entsteht das Gefühl, immer leicht gegen sich selbst zu arbeiten.

Menschen mit AuDHS haben oft das Gefühl, ihr Gehirn sei überempfindlich eingestellt. Alles wird wahrgenommen, jedes Geräusch, jede Bewegung, jede Stimmung. Wenn es still ist, kann das Gehirn endlich fokussieren. Doch sobald zu viele Reize gleichzeitig einströmen, bricht die Konzentration zusammen. Das ist kein Mangel an Willenskraft, sondern schlicht eine andere Funktionsweise. Aufmerksamkeit lässt sich hier nicht steuern, sie wandert, sucht, springt, hängt sich auf oder geht verloren.

Soziale Situationen sind für viele Menschen mit AuDHS ein weiteres Feld voller Widersprüche. Es gibt häufig ein echtes Bedürfnis nach Nähe, verbunden mit einem ebenso starken Bedürfnis nach Rückzug. Der autistische Anteil möchte verstehen, wie andere Menschen funktionieren, aber bitte mit klaren Regeln. Der ADHS-Anteil reagiert spontan, emotional, oft impulsiv. Das Ergebnis ist ein inneres Auf und Ab zwischen Überanpassung und Überforderung. Nach außen wirken Betroffene häufig ruhig und kontrolliert, aber innen tobt ein ständiges Sortieren, Abwägen, Regulieren.

Viele AuDHS-Betroffene sagen, dass sie sich nie richtig in eine Kategorie einordnen konnten. Sie sind zu sensibel für die Schnelllebigkeit der Welt, aber zu impulsiv, um dauerhaft im Rückzug zu bleiben. Zu strukturiert, um chaotisch zu sein, und zu chaotisch, um wirklich strukturiert zu leben. Dieses Spannungsfeld zieht sich durch alle Lebensbereiche. Im Beruf, in Beziehungen, in der Familie. Immer schwingt die Frage mit, ob man nicht eigentlich zu viel oder zu wenig von irgendetwas ist.

Die emotionale Regulation ist dabei ein zentrales Thema. Gefühle kommen stark, oft unvermittelt, manchmal über Stunden oder Tage anhaltend. Das ADHS-typische Überschießen trifft auf den autistischen Drang, alles zu analysieren und zu kontrollieren. Das Ergebnis ist ein Wechsel zwischen emotionaler Überflutung und rationalem Rückzug. Viele Betroffene können genau benennen, was sie fühlen müssten, aber spüren es erst mit Verzögerung oder in Momenten, in denen es niemand mehr erwartet.

Auch sensorisch ist AuDHS oft ein Leben in Extremen. Autistische Wahrnehmung bedeutet, dass Reize selten gefiltert werden. ADHS sorgt zusätzlich dafür, dass der Fokus ständig wechselt. Geräusche, Licht, Bewegungen, Gerüche, alles kann gleichzeitig ankommen und das Nervensystem in Alarm versetzen. Das führt zu Erschöpfung, auch wenn nach außen alles ruhig wirkt. Rückzug ist dann kein Desinteresse, sondern Selbstschutz. Ein Versuch, das System wieder zu regulieren, bevor es überlastet.

Viele Menschen mit AuDHS entwickeln Strategien, um mit dieser Daueranspannung umzugehen. Manche strukturieren ihr Leben bis ins kleinste Detail, um Kontrolle über ihre Umwelt zu behalten. Andere schaffen sich kreative Nischen, in denen sie frei denken und handeln können. Häufig sind sie außergewöhnlich reflektiert, kennen ihre Stärken und Schwächen genau und wissen, was sie eigentlich bräuchten, um gut zu funktionieren. Nur gelingt es im Alltag selten, diese Erkenntnisse konsequent umzusetzen.

Das sogenannte Masking spielt dabei eine große Rolle. Menschen mit AuDHS beobachten andere genau, lernen soziale Abläufe, imitieren Mimik, Tonfall und Körpersprache. Nach außen wirkt das souverän, innerlich ist es anstrengend. Besonders Frauen und nicht-binäre Personen (aber auch viele männliche Betroffene) berichten, dass sie gelernt haben, neurotypisches Verhalten perfekt zu imitieren, um nicht aufzufallen. Dieses ständige Anpassen kostet jedoch enorm viel Energie. Viele Betroffene bemerken erst im Erwachsenenalter, dass sie sich über Jahre hinweg in Rollen erschöpft haben, die nie ganz zu ihnen passten.

In der Diagnostik wird AuDHS häufig übersehen. Viele erhalten meistens zunächst eine ADHS-Diagnose, weil die Unruhe und das Chaos im Vordergrund stehen und durch Masking der autistische Anteil verborgen wird. Dieser wird erst sichtbar, wenn auffällt, dass die Person nicht nur reizoffen, sondern auch kontrolliert, perfektionistisch und ordnungssuchend ist. Andere erleben es umgekehrt, sie erhalten eine Autismus-Diagnose und merken erst später, dass die ständige innere Unruhe und Konzentrationsprobleme nicht nur Teil davon sind, sondern auf eine zweite neurodivergente Funktionsweise hinweisen. Nicht wenige Menschen haben das Gefühl, autistischer unter einer ADHS-Medikation zu werden, was als unangenehm erlebt wird, selbst wenn Aufmerksamkeitsprobleme hierdurch deutlich reduziert werden.

Therapeutisch ist AuDHS eine Gratwanderung. Zu viel Struktur kann lähmen, zu wenig Struktur führt zu Chaos. Zu viel Aktivierung reizt das autistische Nervensystem, zu wenig Aktivierung verstärkt ADHS-Symptome. Es braucht fein abgestimmte Strategien, die beide Seiten ernst nehmen. Ruhe und Bewegung, Routine und Flexibilität, Fokus und Loslassen. Alles in einer Balance, die nicht statisch ist, sondern sich ständig neu finden muss.

Was Menschen mit AuDHS oft gemeinsam haben, ist ein hoher Grad an Selbstwahrnehmung. Sie spüren Disharmonien, reagieren sensibel auf Stimmungen und nehmen Zusammenhänge wahr, die andere übersehen. Diese feinen Sinne können ein Geschenk sein, wenn sie in einem passenden Umfeld zur Geltung kommen. In unpassenden Strukturen wird es jedoch zur Belastung.

Viele merken zum Beispiel sofort, wenn in einem Raum eine angespannte Stimmung herrscht, selbst wenn niemand etwas sagt. Sie bemerken feine Veränderungen in Mimik, Tonfall oder Wortwahl, die anderen entgehen, auch wenn sie es nicht immer genau einordnen können. Sie spüren, wenn ein Gespräch kippt, wenn jemand sich zurückzieht oder wenn ein unausgesprochener Konflikt im Raum steht.

In Arbeitskontexten zeigt sich diese Sensibilität oft darin, dass sie Abläufe oder Ungerechtigkeiten schneller erkennen, Fehler in Strukturen bemerken oder Stimmungen im Team intuitiv wahrnehmen. Was für andere nebensächlich ist, ist für sie kaum zu übersehen. Der zu grelle Lichtschein im Büro, der unterschwellige Druck in einem Meeting oder die unausgesprochene Erwartung zwischen den Zeilen einer E-Mail.

Auch im privaten Umfeld spüren viele mit AuDHS, wenn Menschen um sie herum emotional unausgeglichen sind, selbst wenn diese es selbst noch gar nicht merken. Diese Fähigkeit kann Nähe schaffen, aber auch überfordern, weil sie schwer abschaltbar ist. In einem Umfeld, das Rückzug und Ruhe zulässt, kann diese Sensibilität zu echter Empathie und hoher sozialer Kompetenz führen. In einem Umfeld, das permanent laut, unklar oder konfliktreich ist, wird sie dagegen schnell zur Quelle von Stress, Selbstzweifeln und Erschöpfung.

Darum geht es bei AuDHS nicht nur um die Frage, wie jemand funktioniert, sondern darum, unter welchen Bedingungen er oder sie aufblühen kann.

Wenn AuDHS erkannt wird, kann das vieles verändern. Es erklärt, warum manche Dinge anstrengend waren, die für andere selbstverständlich wirkten. Es erklärt, warum Leistungsfähigkeit phasenweise schwankt, warum Ruhe oft keine Entspannung bringt und Aktivität nicht immer Energie. Es schafft Verständnis, auch für die eigene Geschichte. Und es macht deutlich, dass AuDHS nicht nur doppelt anstrengend ist, sondern auch eine ganz eigene Art, die Welt zu sehen, mit besonderer Wahrnehmung, Kreativität und Tiefe.

AuDHS bedeutet, gleichzeitig Ordnung und Chaos zu (er)tragen. Es heißt, in der Welt zu stehen und alles ein bisschen intensiver zu erleben. Oft ist das anstrengend, es kann aber auch schön sein, auf jeden Fall ist es immer echt. Wer lernt, diese beiden Systeme nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten zu lassen, entdeckt eine Art von Klarheit, die sich nicht aus Normalität ergibt, sondern aus echtem Selbstverständnis.