Double Empathy Problem: Warum Verstehen manchmal schwer ist

Double Empathy Problem: Warum Verstehen manchmal schwer ist

Über das Double Empathy Problem und die Kunst, sich wirklich zuzuhören

Wir sprechen dieselbe Sprache. Nur nicht denselben Code.

Manchmal läuft ein Gespräch ganz ruhig. Die Worte stimmen, der Ton ist freundlich, niemand fällt dem anderen ins Wort. Und trotzdem bleibt danach dieses Gefühl zurück, dass etwas nicht ganz gepasst hat. Dass etwas nicht angekommen ist. Kein Streit, keine spitze Bemerkung, nichts, was man benennen könnte. Nur dieses leise Unbehagen. Ein diffuses „Ich glaube, wir haben uns nicht richtig verstanden“.

Solche Situationen kennt wahrscheinlich jede:r. Aber zwischen autistischen und nicht-autistischen Menschen scheinen sie häufiger vorzukommen und oft tiefer zu gehen. Und das, obwohl beide Seiten sich große Mühe geben. Vielleicht gerade deshalb ist es so frustrierend.

Das „Double Empathy Problem“ beschreibt genau dieses Phänomen. Wenn das gegenseitige Verstehen schwerfällt, liegt das nicht an einem Mangel auf nur einer Seite. Es geht nicht darum, dass autistische Menschen zu wenig Empathie hätten.

Es geht darum, dass zwei Menschen mit ganz unterschiedlicher Art, die Welt zu verstehen und mit anderen in Kontakt zu treten, aufeinandertreffen. Jede:r bringt seine eigene Sprache mit, seine eigene Art, Nähe zu zeigen, Gefühle auszudrücken oder Dinge zu deuten. Und manchmal passiert es dann einfach, dass man sich verpasst. Nicht aus bösem Willen, sondern weil man Dinge unterschiedlich meint, sagt oder versteht.

Wir haben uns lange daran gewöhnt, soziale Kommunikation als etwas zu sehen, das man „richtig“ oder „falsch“ macht. Wer nicht oft lächelt, gilt als distanziert. Wer Blickkontakt meidet, als desinteressiert. Wer Smalltalk schwierig findet, als seltsam oder unhöflich. Aber was, wenn diese Maßstäbe nicht für alle passen? Was, wenn das scheinbare „Anderssein“ gar kein Mangel ist, sondern einfach ein anderer Code?

Viele autistische Menschen erleben soziale Situationen als hochkomplexe Rechenaufgabe. Weil sie nicht automatisch wissen, was zwischen den Zeilen steht. Weil Körpersprache, Tonfall und subtile Hinweise nicht einfach mitgelesen werden. Weil sie genau hinschauen, und weil dieses genaue Hinschauen viel Energie kostet.

Was für andere nebenbei passiert, ist für sie oft eine zusätzliche Ebene, die bewusst verarbeitet werden muss. Manchmal wirkt das dann nach außen ein bisschen steif, direkt oder „nicht ganz stimmig“. Aber das liegt nicht an einem Mangel an Empathie. Es liegt daran, dass Empathie anders funktioniert. Und dass Ausdruck und Verständnis nicht immer auf dieselbe Art passieren.

Das Schwierige ist, dass auch die andere Seite „blinde Flecken“ hat. Viele neurotypische Menschen gehen davon aus, dass ihre Art zu kommunizieren die „natürliche“ ist. Dass bestimmte Gesten, Pausen oder Floskeln einfach dazugehören. Dass man merkt, wie es jemandem geht, wenn man nur gut genug hinschaut. Und genau hier wird es spannend. Denn dieser Code funktioniert nicht automatisch für alle. Und wenn beide Seiten davon ausgehen, dass „das doch klar war“, dann wird das Missverständnis unsichtbar.

Ein typisches Beispiel sind Pausen. Für viele wirken Gesprächspausen unangenehm, fast wie ein stiller Vorwurf. Man versucht, sie schnell mit Worten zu füllen. Für viele autistische Menschen sind Pausen hingegen notwendig. Sie helfen, nachzudenken, Informationen zu sortieren, ehrlich zu antworten. Wer diese Pause als Ablehnung liest, ist irritiert. Und zieht sich zurück. Die Verbindung bricht ab, obwohl sie gerade dabei war, sich zu bilden.

Das Double Empathy Problem verdeutlicht uns, diese Momente nicht als Fehler zu sehen, sondern als Signal. Als Hinweis darauf, dass es zwei Sprachen gibt, die einander nicht widersprechen, aber unterschiedliche Grammatik benutzen. Und dass Verstehen manchmal daran scheitert, dass wir glauben, alles müsste intuitiv klappen.

Es braucht nicht viel, um das aufzubrechen. Vielleicht ein kurzes Nachfragen. Oder die Bereitschaft, Dinge zweimal zu sagen. Vielleicht auch einfach die Entscheidung, nicht gleich zu werten, wenn etwas im ersten Moment komisch wirkt. Oft steckt dahinter keine Absicht, sondern ein anderer Stil.

Natürlich wird es nie perfekt laufen. Niemand kann immer alles richtig machen. Und ja, manchmal ist es auch einfach mühsam. Aber echte Verbindung beginnt oft genau da, im Versuch, einander trotz allem zu erreichen.

Verstehen ist keine Einbahnstraße. Es ist auch keine Begabung, die man entweder hat oder nicht. Es ist ein Prozess. Einer, der Zeit braucht, Geduld und manchmal auch den Mut, sich in der eigenen Unsicherheit nicht gleich zurückzuziehen.

Vielleicht sprechen wir also doch dieselbe Sprache. Nur eben mit unterschiedlichem Code. Und das muss kein Hindernis sein, wenn wir bereit sind, gemeinsam zu übersetzen.