Wenn du schon lange spürst, dass du irgendwie anders tickst: Autismus und ADHS im Erwachsenenalter
Manche Menschen sagen über sich selbst, sie hätten sich immer schon ein bisschen anders gefühlt. Nicht unbedingt schlechter, einfach nur anders. Vielleicht nicht so schnell mit dabei, wenn Gruppen entstehen. Vielleicht mit dem Gefühl, in Gesprächen den Anschluss zu verlieren, obwohl man gut zuhört. Vielleicht auch mit einer Art innerem Lärm, der sich nie ganz ausschalten lässt. Wer so empfindet, hat oft eine lange Reise hinter sich, bis er oder sie sich traut, das Thema überhaupt in den Raum zu stellen. Und ganz viele kommen erst im Erwachsenenalter an den Punkt, an dem sie sagen, „Jetzt will ich es wissen“.
Ich arbeite ausschließlich mit Erwachsenen. Nicht, weil ich Kinder nicht mag. Sondern weil ich glaube, dass die Art und Weise, wie Autismus und ADHS sich im Erwachsenenalter zeigen, ganz eigene Aufmerksamkeit braucht. Das gilt auch für die Diagnostik. Denn bei Erwachsenen ist nichts mehr so eindeutig wie im Kinderbuch. Die Anzeichen sind oft gut kompensiert, überlagert, durch Strategien und jahrelange Anpassung maskiert. Genau deshalb braucht es Erfahrung, ein feines Gespür und eine Umgebung, in der sich Menschen mit all ihren Fragen wirklich zeigen können.
Was bei Kindern oft klarer zu erkennen ist
Bei Kindern geht man bei Autismus oft auf das Offensichtliche. Kaum Blickkontakt. Kaum Interesse am Spiel mit anderen. Wiederholte Bewegungen. Starre Routinen. Auch bei ADHS sind die Symptome bei Kindern deutlicher. Zappeln. Impulsivität. Konzentrationsprobleme. Das Umfeld merkt schnell, dass da etwas aus dem Rahmen fällt.
Aber bei Erwachsenen hat sich vieles verändert. Weil man gelernt hat, wie man funktioniert. Oder wie man zumindest so tut. Viele Autistinnen und Autisten berichten, dass sie über Jahre hinweg beobachtet haben, wie andere sich verhalten, um es dann nachzuahmen. Nicht, weil es sich stimmig anfühlt, sondern weil es scheinbar erwartet wird. Menschen mit ADHS lernen oft, mit riesigem Kraftaufwand Termine einzuhalten, in Meetings still zu sitzen und Aufgaben irgendwie zu erledigen. Von außen wirkt das dann ganz normal. Von innen sieht es oft ganz anders aus.
Woran man ADHS und Autismus bei Erwachsenen erkennt
Bei Erwachsenen zeigt sich ADHS nicht immer laut und ungestüm. Viele erleben sich als innerlich ständig in Bewegung, mit unzähligen Gedanken, Ideen, To-dos. Konzentration ist nur punktuell möglich, Reize sind schwer auszublenden, Schlaf kommt oft zu spät und bleibt unruhig. Und manchmal gibt es trotz bester Vorsätze diesen Bruch zwischen dem, was man eigentlich will, und dem, was man dann tatsächlich macht. Was sich dann oft wie Selbstsabotage anfühlt.
Autismus zeigt sich bei Erwachsenen häufig in Form von sozialer Erschöpfung. Gespräche in Gruppen sind anstrengend. Smalltalk wirkt mühsam oder sinnlos. Ironie und subtile Hinweise führen zu Unsicherheiten. Dazu kommt oft eine ausgeprägte Detailwahrnehmung, sensorische Empfindlichkeit und das Bedürfnis nach festen Abläufen und klaren Strukturen. Viele haben Spezialinteressen, in denen sie aufblühen. Und viele erleben auch Situationen, in denen ihnen alles zu viel wird. Geräusche, Erwartungen, Veränderungen. Dann kommt es zu Overload, Meltdowns oder auch zu einem inneren Rückzug, dem sogenannten Shutdown.
Warum so viele erst spät zur Diagnose finden
Viele Erwachsene berichten, dass sie sich schon als Kind anders gefühlt haben. Aber niemand kam auf die Idee, dass Autismus oder ADHS dahinterstecken könnte. Vielleicht waren sie einfach nur die Träumerin in der letzten Reihe. Oder der stille Junge, der lieber las als spielte. Vielleicht auch das Kind mit dem explosiven Temperament, das aber doch irgendwie „funktionierte“. Bei Frauen wird Autismus noch immer viel zu selten erkannt, weil sie oft besonders gut darin sind, sich anzupassen. Auch ADHS zeigt sich bei Frauen häufig nicht in der klassischen „Zappelphilipp“-Variante, sondern eher als innere Unruhe, Vergesslichkeit oder emotionale Überforderung. Es wird dann gerne mit Überlastung, Depressionen oder persönlichem Versagen verwechselt.
Was mir wichtig ist in der Diagnostik
Die Diagnostik bei Erwachsenen braucht Zeit und Raum. Es geht nicht darum, Sie in ein Raster zu pressen. Sondern darum, gemeinsam hinzuschauen, wie sich bestimmte Themen durch Ihr Leben ziehen. Welche Strategien Sie entwickelt haben. Welche Schwierigkeiten immer wieder auftauchen. Und was vielleicht einfach nur wie ein Persönlichkeitsmerkmal wirkte, sich im Rahmen der Diagnostik aber ganz neu zeigt.
Ich arbeite mit validierten Verfahren, nehme mir viel Zeit für die Anamnese und schaue dabei auch auf mögliche Überschneidungen mit anderen psychischen Themen. Denn auch das gehört dazu. Depressionen, Ängste, Erschöpfung. Sie entstehen nicht selten im Schatten einer unentdeckten Neurodivergenz. Wichtig ist mir, dass Sie sich mit Ihren Erfahrungen gesehen fühlen. Ohne Bewertung, ohne Schubladen.
Warum ich nur mit Erwachsenen arbeite
Weil es aus meiner Sicht einen großen Unterschied macht, ob ich mit einem Kind oder mit einer erwachsenen Person arbeite. Erwachsene bringen eine ganze Lebensgeschichte mit. Ein Bild von sich selbst. Viele Fragen, aber auch viele Schutzmechanismen. Es braucht Fingerspitzengefühl, um diese Geschichte zu würdigen und gleichzeitig neue Perspektiven zu öffnen. Ich glaube, dass Diagnostik bei Erwachsenen eine sehr respektvolle, einfühlsame und oft auch entlastende Arbeit ist. Und ich sehe immer wieder, wie viel Kraft es kostet, diesen Schritt zu gehen.
Deshalb liegt mein Fokus ganz bewusst auf der Autismus- und ADHS-Diagnostik für Erwachsene. Weil ich finde, dass es gerade für diese Gruppe noch immer zu wenig passende Angebote gibt. Und weil ich weiß, wie befreiend es sein kann, endlich Worte für das zu finden, was man schon so lange gespürt hat.
Wenn Sie sich wiedererkennen
Vielleicht merken Sie einfach nur, dass da irgendwas hakt. Dass andere Dinge scheinbar leichter nehmen als Sie. Oder dass bestimmte Situationen Sie immer wieder mehr Kraft kosten, als Ihnen lieb ist. Wenn Sie Lust (und Mut) haben, dem ein bisschen auf den Grund zu gehen, dann schauen wir gemeinsam, was da los ist. Ganz ohne Drama, nur mit Neugier und einem offenen Blick.