Acht Gardinen, ein Handtuch und ganz viel Kopfkino

Acht Gardinen, ein Handtuch und ganz viel Kopfkino

Ein ganz normaler Abend.

Nach einiger Netflix-Recherche und zig Trailern haben wir eine mittelgute Serie gefunden und uns davorgesetzt. Die Serie beginnt, und der Schauspieler kommt mir irgendwie bekannt vor.

„Der sieht doch aus wie Tom im Ferienlager damals“, denke ich. Gott, ist das lange her. Das war so ein heißer Sommer damals, dauernd über 30 Grad. Mal gucken, wie dieser Sommer wird. Hoffentlich klappt das mit der Fähre und wir geraten nicht in einen Stau. Oh je, die Sommerfigur ist auch noch nicht da. Das heißt, neue Klamotten kaufen. „Och nö … Gedränge, Menschenmassen, schwitzen … da hab ich ja gar keine Lust drauf.“ Ich denke darüber nach, dass die neuen Gardinen für das Gartenhäuschen noch gekürzt werden müssen. Ich hoffe, ich bekomme schnell einen Termin.

„Ist das der gleiche Schauspieler wie in der vorigen Szene?“, fragt mein Mann.

„Ach verdammt, wir schauen ja eine Serie“, sage ich und raune: „Sorry, hab ich nicht mitbekommen.“

„Aber du guckst doch die ganze Zeit hin?“

„Meine Augen gucken zu, nicht mein Kopf“, antworte ich resigniert.

Okay, jetzt aber. Ich gucke gebannt auf den Fernseher. Da fällt mir ein, dass ich unbedingt für nächste Woche noch ein Handtuch einpacken muss. Ich springe auf: „Brauchst keine Pause machen, bin gleich wieder da.“

Auf dem Weg zum Bad stolpere ich über meinen Kater, der, wie immer, taktisch klug mitten im Weg liegt. So ein süßes, warmherziges Tier – warum muss er bloß so schlimm chronisch krank sein? Ich streichele ihn und gebe ihm etwas Milch. Sein Bruder kommt natürlich sofort angerannt und möchte auch etwas. „Das ist nur gerecht“, sage ich zu den Katerchen.

„Kommst du jetzt, oder soll ich Pause machen?“, ruft mein Mann aus dem Wohnzimmer.

Ach ja, die Serie. Ich stürme zurück und hab so ein komisches Gefühl, als ob in meinem Kopf noch etwas herumgeistert. Ich lümmele mich auf die Couch und gucke zum Fernseher. Unbequem. Ich muss mich anders hinsetzen. So auch nicht. Da läuft plötzlich ein Elektro-Track in der Serie, und ganz ehrlich, das ist vermutlich das Beste, was sie bislang zu bieten hatte. Ohne groß drüber nachzudenken, fange ich an, den Beat mit den Fingern zu trommeln. Mein Fuß wippt ganz von allein im Takt.

„Was ist passiert?“, frage ich.

Mein Mann stoppt die Serie und erklärt es mir geduldig. Weiter geht’s.

Wo ist eigentlich mein Handy? Ich gucke überall hin und finde es nicht.

„Das jonglierst du in der Hand“, sagt mein Mann.

Stimmt.

Jetzt muss ich erstmal auf’s Klo. „Brauchst keine Pause machen!“

Im Bad liegt das klitschnasse Badehandtuch meiner Tochter in der Wanne. Sie hat wie immer verpeilt, es aufzuhängen. Da fällt mir wieder ein: Ich wollte doch ein Handtuch mitnehmen! Ich murmele: „Handtuch, Handtuch, Handtuch …“

„Maaamaaa?“

„Jaaaaa?“

„Kann ich heute bis 21 Uhr raus?“

„Meinetwegen, aber nur, wenn dein Zimmer aufgeräumt ist!“

„Jaaahaaa.“

Ich wasche die Hände und beeile mich zurück zur Serie. Jetzt hab ich den Anschluss verloren, will aber auch nicht schon wieder nachfragen. Also starre ich gebannt auf den Fernseher. So richtig catcht mich die Serie sowieso nicht. Irgendwie langweilig.

Ich nehme mein Handy und google den Gedanken, der mir grade in den Kopf kam: „Können Koniferen den Schall mindern?“ Ganz unauffällig – im besten Fall bemerkt mein Mann das nicht. Plötzlich fällt mir wieder das Handtuch ein! Ich stürme ins Bad und lege es direkt neben meinen Rucksack in den Flur, damit ich es nicht wieder vergesse.

Eine WhatsApp kommt an. Die Gardinenkürzfrau schreibt, ich könne die Gardinen auch jetzt schon rumbringen. Sie hätte Zeit. Super! Ich springe auf: „Ich muss nochmal los!“ Ich packe die acht Gardinen in eine große blaue Ikea-Tüte und stelle sie neben den Arbeitsrucksack und das Handtuch. Nur schnell noch die Jogginghose wechseln.

„Du kannst die Serie gerne ohne mich schauen, sie langweilt mich eh“, rufe ich meinem Mann zu. Ein kurzer Blick in den Spiegel und los geht’s. Ich gebe die Adresse ins Navi ein. Wer auch immer das Navi erfunden hat – ich könnte dich knutschen! Ich fahre los. Heute eine etwas längere Strecke, da lohnt es sich, die Musik aufzudrehen.

Ich feiere meine kleine Party im Auto und schaue aufs Navi. Noch zehn Minuten. Perfekt, endlich mal den Song in der langen Instrumentalversion hören. Ich freue mich und fahre feiernd so vor mich hin. Dann denke ich: „Habe ich überhaupt mein Portemonnaie dabei? Falls ich den Führerschein zeigen muss?“ Ich habe es natürlich vergessen, es ist im Rucksack im Flur. Wird schon klappen.

Ich schaue nach hinten – da liegt nur das Handtuch. Und mir wird ganz schlecht.

„Verdammt, wo sind die Gardinen?!“

Ich nörgele vor mich hin: „War ja klar, dass mir das passiert … das ist sooo typisch.“ Ich versuche, nicht vor Frust loszuheulen, und spreche mein persönliches „Nicht-so-schlimm-es-gibt-viel-Schlimmeres-Mantra“ vor mich hin.

Zuhause angekommen, sagt mein Mann: „Das ging ja schnell.“

Ich werfe ihm einen vielsagenden Seitenblick zu, nuschele nur: „Gardinen vergessen.“

Den Blick kenne ich. Kein Kommentar.

Ich klingele bei der Gardinenkürzfrau. Sie macht essenderweise die Tür auf.

„Bist du geflogen?“, fragt sie.

Ich lächle irritiert, sage nichts zu meinem Fauxpas und denke: Wenn du wüsstest.

„Na, komm rein“, sagt sie.

Wir gehen rein. Sie erzählt mir vom bevorstehenden Urlaub.

Smalltalk. Ich hab’s befürchtet. Ich nicke freundlich und wiederhole, was sie sagt. Ich habe herausgefunden, dass das eine gute Smalltalk-Strategie ist.

„Ach, Urlaub also. In drei Tagen. Mit den Kindern. Nach Spanien. Eine Woche.“

Irgendwann dreht sie sich um und fragt: „Na stimmt doch, oder?“

Ich bin verwirrt und war gedanklich grade woanders.

„Was?“ „Kannst du das nochmal sagen, bitte?“

Nachdem alles erledigt ist, fahre ich wieder nach Hause.

„Können wir die Gardinen im Gartenhäuschen nicht jetzt schon anbringen, um zu schauen, ob sie auf die richtige Länge gekürzt wurden?“, frage ich ungeduldig. Unerledigte Aufgaben mag ich überhaupt nicht.

„Ich habe mit nichts anderem gerechnet“, sagt mein Mann nur und gibt sein Einverständnis.

(Mir fällt ein, dass es nur eine Sorte Koniferen gibt, die im Winter nicht braun werden. Ich hoffe, dass die richtigen bestellt wurden.)

„Kommst du?“, fragt mein Mann.

„Moment, ich muss mein Handy suchen!“

Warum ist dieses doofe Teil eigentlich immer weg?! Ich trommele mit den Fingern an der Wand. Werde hektisch. Ich hasse das! Mein Mann kommt von hinten, gibt mir mein Handy.

„Wo war es?“

„Na, mitten auf dem Tisch.“

Ich rolle mit den Augen.

„Hast du den Schlüssel für den Garten?“ Natürlich nicht. Ich schnappe ihn – Gott sei Dank war er an einer der gewohnten Stellen.

Ich hoffe wirklich, dass ich im Alter keine Demenz kriege. Ich würde sicherlich den ganzen Tag nur Dinge suchen. Furchtbare Vorstellung.

Im Gartenhäuschen packe ich die Gardinen aus und versuche mich zu erinnern, wo welche hingehört.

„Ich hab die Position (erster Raum, zweites Fenster) alle an den Etiketten beschriftet“, sage ich stolz. Ich wickele die erste aus – blanko Etikett. Echt jetzt? Die zweite. Auch blanko. Ich bin frustriert. Ich war so sicher. Die restlichen sind zum Glück beschriftet. Mit Ausschlussverfahren kriegen wir das hin.

(Hoffentlich sind die Koniferen auch groß genug.)

Wieder zuhause bin ich ziemlich erschöpft und freue mich aufs Bett. Nachdem ich das nächste Jahr noch kurz durchgeplant habe, schlafe ich ein.

Mein Mann beugt sich zu mir und sagt leise: „Aufwachen.“

„Was? Wie? Schon 7 Uhr?!“

Ich habe vergessen, den Wecker zu stellen. Na super.

Dann strecke ich mich und begrüße mein inneres Team, das mir wie immer fünf Vorschläge auf einmal präsentiert, die alle fürchterlich drängen.

Also, auf ein Neues …