Autismus – Was ist das?

Autismus - was ist das? - Ein goldener Schlüssel liegt auf einem Holzzaun.

Autismus – Was ist das?

Die Autismus-Spektrum-Störung zählt zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und gilt prinzipiell als nicht heilbar. Durch eine gezielte therapeutische Förderung und Unterstützung, insbesondere durch eine vertrauensvolle Beziehungsarbeit, können jedoch häufig viele positive Veränderungen erzielt werden. Sowohl bei den betroffenen Menschen selbst, als auch bei deren Angehörigen.

Als Hauptmerkmale bei Menschen im Autismus-Spektrum sind eine gestörte soziale Interaktion, eine beeinträchtigte (oft ganz wundervolle!) Kommunikation, sowie sich wiederholende stereotype Verhaltensweisen und ganz spezielle Interessensgebiete auszumachen. Es liegen oft Besonderheiten in der Wahrnehmung und der Verarbeitung von Reizen in den verschiedenen Sinnesmodalitäten vor. So kann es bei flackernden Lichtern, lauten Geräuschen oder dominanten Gerüchen schnell zu einer Überforderungssituation kommen, da diese Reize nicht ausgeblendet werden können.

In einzelnen Bereichen liegt bei vielen Betroffenen eine ausgeprägte fachliche Kompetenz vor, dabei werden sie (leider!) häufig als arrogant missinterpretiert. Oft liegen hohe moralische Ansprüche und ein ausgeprägtes Befolgen von Regeln sowie ein hohes Gerechtigkeitsbewusstsein vor. Smalltalk ist meistens unbeliebt, wenn nicht sogar ganz verpönt. Diese Art von Gespräche empfinden Autist*innen (oft zurecht!) als sinnlos und langweilig, sie bevorzugen eher einen sinnvollen Informationsaustausch. Sehr viele autistische Menschen bevorzugen es, einen vorhersehbaren und geregelten Tagesablauf zu haben, da dies für sie Sicherheit bedeutet. Ändert sich der Tagesablauf spontan, insbesondere durch Aufgaben, die von anderen gestellt und nicht selbst gewählt werden, kann dies in Autist*innen eine große Anspannung erzeugen, die manchmal nicht auszuhalten ist. Nicht nur deshalb, aber auch mitbedingt, haben viele autistische Menschen ein großes Rückzugs- und Ruhebedürfnis.

Klassifikation

Das internationale Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen (ICD-10) unterscheidet noch einmal genauer in verschiedene Erscheinungsformen des Autismus. So ist unter F84.0 der frühkindliche Autismus, unter F84.1 der atypische Autismus und unter F84.5 das Asperger Syndrom kodiert. Aufgrund der Vielfältigkeit der Symptomatik lässt diese sich meistens jedoch nicht in eindeutige ‚Schubladen‘ stecken. Auch ist der Grad der Ausprägung interindividuell verschieden. Deshalb wird im kommenden ICD-11 der im Volksmund bereits etablierte Begriff der ‚Autismus-Spektrum-Störung‘ verwendet werden (ICD-11, 6A02).

Die vielen Stärken, die Menschen im Autismus-Spektrum mitbringen, werden im Gegensatz zu den beschriebenen Schwächen leider oft nicht hinreichend erkannt oder gewürdigt. Zu ihnen zählen Ehrlichkeit, Detailgenauigkeit, Zuverlässigkeit, Toleranz, ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, Hilfsbereitschaft oder Beharrlichkeit, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

Begleiterkrankungen

Durch meine Tätigkeit als Leitung im Fachdienst Autismus des Annedore-Leber-Berufsbildungswerks Berlin bin ich vertraut im Umgang mit vielen jungen Menschen im Autismus-Spektrum und weiß um deren Schwierigkeiten aber auch um die vielen Potentiale. Autistische Menschen gelangen meistens nicht wegen ihres Autismus‘ in eine Psychotherapie, sondern wegen der Probleme, die entstehen, wenn die autistische Welt mit der Welt der neurotypischen Menschen nicht zusammengeht. Nicht selten führt diese Nichtpassung zu psychischen Beeinträchtigungen, die begleitend (komorbid) zum Autismus auftreten. Oft sind dies depressive, ängstliche oder zwanghafte Zustände, die den Selbstwert und die Lebensqualität der betroffenen Menschen stark beeinträchtigen können. Eine schöne Metapher ist, wie ich finde, diese: Autist*innen und neurotypische Menschen haben andere Betriebssysteme. Autistische Menschen kommunizieren bspw. mit dem Apple-Betriebssystem, neurotypische Menschen nutzen Windows. Keiner der Kommunikationswege ist falsch, dennoch können Kompatibilitätsprobleme und Informationsverluste auftreten.

Eine häufige Begleiterkrankung ist die Aufmerksamkeitsdefizit- und (Hyperaktivitäts)störung (ADHS bzw. ADS). Bei der AD(H)S liegen Symptome einer Hyperaktivität vor, bei der ADS steht eher das Verträumte im Vordergrund. Je nach Studie betrifft die Wahrscheinlichkeit einer begleitenden AD(H)S bis zu 80% der Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Sowohl die ASS als auch die ADHS zählen zu den sogenannten Entwicklungsstörungen. Die AD(H)S wird in vielen Fällen sogar zuerst, also vor der ASS, diagnostiziert, erklärt jedoch nicht alle Merkmale, die bei Betroffenen vorliegen. Auch bei der AD(H)S werden Symptome schon in der Kindheit sichtbar, oft beim Schuleintritt, wenn die Anforderungen an das Kind steigen und Leistungssituationen entstehen. Anzeichen für eine AD(H)S können unter anderem Probleme mit der Konzentration, eine leichte Ablenkbarkeit, Motivationsprobleme, eine niedrige Frustrationstoleranz sowie eine motorische Unruhe und gesteigerte Impulsivität sein. Bei Erwachsenen bestehen häufig Schwierigkeiten mit der Arbeitsorganisation, ein schlechtes Selbstmanagement und eine starke Unausgeglichenheit. Auch liegen oft Probleme mit der sogenannten ‚Prokrastination’ vor, im Volksmund ‚Aufschieberitis‘. Beziehungen können durch häufige Partnerwechsel gekennzeichnet sein, es können häufige Arbeitsplatzwechsel vorliegen.

Im Rahmen der Autismus Diagnostik führe ich auch Screening Verfahren hinsichtlich einer AD(H)S durch. Bei auffälligen Screening Ergebnissen besteht die Möglichkeit, die AD(H)S Diagnostik zu vertiefen.

Durch fehlende Diagnosen oder Fehldiagnosen wird die Autismus-Spektrum-Störung oft, besonders bei Mädchen und Frauen,  sehr spät erkannt oder kann nicht zeitnah therapeutisch begleitet werden. Im Raum Berlin/Brandenburg beträgt die Zeit von der ersten Anfrage nach einer Diagnostik bis zur Stellung der Diagnose durchschnittlich vier Jahre. Allerdings sind viele Wartelisten aufgrund von hohen Nachfragen derzeit gesperrt.

Sehr umfangreiche und vielseitige Informationen zum Thema Autismus finden Sie auf der Internetseite Autismus-Kultur. Weitere sehr hilfreiche Informationen finden Sie beim Aspies e.V. oder im Selbsthilfeforum des Aspies e.V.