ADHS: Rejection Sensitivity

ADHS und Rejection Sensitivity: Warum Kritik so wehtun kann

Rejection Sensitivity bei ADHS – Warum schon ein Blick wie ein Schlag in den Magen sein kann

Viele Menschen mit ADHS kennen die Situation, dass schon eine kleine Geste, ein bestimmter Tonfall oder ein kurzer Kommentar ausreicht, um sich plötzlich abgelehnt zu fühlen. Ein Kollege schaut etwas länger auf den Bildschirm, ein Freund antwortet knapper als sonst oder der Partner klingt ungewohnt ernst. Sofort entsteht das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Diese Reaktion hat einen Namen: Rejection Sensitivity, kurz RSD. Gemeint ist eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber tatsächlicher oder auch nur vermuteter Zurückweisung.

RSD bedeutet nicht, dass man besonders empfindlich ist, weil man schwach wäre. Es ist vielmehr eine Art Überreaktion des Nervensystems, das bei ADHS ohnehin ständig in Alarmbereitschaft steht. Viele Betroffene beschreiben, dass schon winzige Anzeichen genügen, um eine Lawine an Selbstzweifeln auszulösen. Der Kopf ist dann sofort voller Fragen. Mag die andere Person mich noch. Habe ich wieder etwas falsch gesagt. Warum bekomme ich diesen Blick. Diese Gedanken laufen oft so schnell ab, dass man gar nicht merkt, wie viel Energie sie kosten.

Wer mit RSD lebt, kennt auch die körperliche Seite. Manche spüren, wie der Puls ansteigt oder der Magen sich verkrampft. Andere fühlen sich innerhalb weniger Sekunden wie gelähmt oder geraten in eine Art Fluchtmodus. Der Auslöser mag für Außenstehende winzig wirken, die Wirkung ist aber alles andere als klein. Die Anspannung kann so stark sein, dass man sich tagelang mit einer einzigen Situation beschäftigt und sie immer wieder gedanklich durchspielt.

Häufig hat diese Empfindlichkeit ihren Ursprung in den Erfahrungen, die Menschen mit ADHS schon früh machen. Viele erleben von klein auf, dass sie als „zappelig“, „unaufmerksam“ oder „unzuverlässig“ gelten. Sie hören öfter Kritik als Lob und entwickeln deshalb eine besondere Wachsamkeit für mögliche Ablehnung. Das Nervensystem merkt sich solche Muster. Und selbst wenn später niemand mehr wirklich streng oder kritisch ist, reicht ein kleiner Hinweis, damit das alte Gefühl sofort wieder auftaucht.

Das bedeutet jedoch nicht, dass RSD nur negativ ist. Diese ausgeprägte Sensibilität macht Menschen mit ADHS oft auch sehr feinfühlig für Stimmungen und Zwischentöne. Sie spüren schneller, wenn jemand traurig ist, sie nehmen ernst, was andere bewegt, und sie können dadurch sehr empathisch reagieren. Die gleiche Empfindlichkeit, die in einem Moment zur Belastung wird, macht es im anderen möglich, Nähe und Verbundenheit besonders intensiv zu erleben.

Problematisch wird RSD vor allem dann, wenn Betroffene beginnen, ihr Leben stark einzuschränken. Manche vermeiden bestimmte Situationen, aus Angst, wieder abgelehnt zu werden. Andere verhalten sich überangepasst, um nur ja keinen Anlass zur Kritik zu geben. Wieder andere gehen in die Gegenrichtung und ziehen sich komplett zurück, um gar nicht erst verletzt werden zu können. All das sind verständliche Strategien, sie verstärken aber auf Dauer die innere Anspannung.

Hilfreich kann es sein, RSD zunächst überhaupt zu benennen. Allein das Wissen, dass dieses Phänomen existiert, wirkt für viele entlastend. Es macht deutlich, dass die heftige Reaktion nicht bedeutet, dass man übertreibt oder „zu empfindlich“ ist, sondern dass sie zu einem neurobiologischen Muster gehört. Wer das versteht, kann beginnen, Abstand zu den automatischen Gedanken einzubauen. Zum Beispiel, indem man sich bewusst fragt, gibt es auch eine andere Erklärung für das Verhalten der anderen Person.

Im Alltag hilft es, Routinen für Selbstberuhigung zu entwickeln. Das kann sein, kurz spazieren zu gehen, bewusst zu atmen oder eine vertraute Person um Rückmeldung zu bitten. Auch eine klare Kommunikation wirkt entlastend. Viele Menschen mit ADHS haben gute Erfahrungen damit gemacht, offen zu sagen, dass sie manchmal unsicher sind, ob eine Reaktion kritisch gemeint war. Oft klärt sich ein Missverständnis in Sekunden.

Langfristig geht es darum, einen freundlicheren Blick auf sich selbst zu entwickeln. Wer immer sofort denkt, falsch zu sein, braucht Strategien, um das eigene Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Manchmal kann dabei eine therapeutische Begleitung sinnvoll sein, manchmal auch der Austausch mit anderen Betroffenen. Wichtig ist, dass RSD nicht als persönliches Scheitern verstanden wird, sondern als Teil des ADHS-Erlebens, mit dem man lernen kann, bewusster umzugehen.

Rejection Sensitivity ist anstrengend und kann Beziehungen und das Berufsleben stark belasten. Gleichzeitig zeigt sie aber auch, wie groß das Bedürfnis nach Verbindung, Anerkennung und Echtheit ist. Menschen mit ADHS wollen nicht einfach „richtig“ funktionieren, sie wollen dazugehören und gesehen werden. Und genau darin steckt auch eine Stärke. Wer so sensibel auf Ablehnung reagiert, der hat auch ein tiefes Gespür für das, was anderen guttut. Dieses Gespür kann, wenn es nicht nur gegen einen selbst gerichtet ist, zu einer wertvollen Ressource werden. Im Kontakt mit Freunden, in Partnerschaften und auch im beruflichen Leben.