Autismus und ADHS: Eine doppelte Herausforderung?

Autismus und ADHS: Eine doppelte Herausforderung?

Sind Autismus und ADHS doppelt herausfordernd?

Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leben mit zwei neurodivergenten Bedingungen, die sich auf ihre Wahrnehmung, ihr Verhalten und ihre Lebensqualität auswirken. Beide Diagnosen überschneiden sich in vielerlei Hinsicht, bringen aber auch widersprüchliche Bedürfnisse mit sich, was zu erheblichen Herausforderungen im Alltag, im sozialen Leben und in der Selbstregulation führen kann.

Autismus und ADHS haben unterschiedliche, aber auch teilweise überlappende Ursachen, die sowohl genetische als auch Umweltfaktoren umfassen. Autismus wird vorrangig durch genetische Faktoren beeinflusst. Studien zeigen, dass genetische Variationen und Mutationen eine zentrale Rolle spielen, wobei kein einzelnes Gen für Autismus ursächlich ist, sondern ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren. Eine hohe familiäre Häufung deutet darauf hin, dass Autismus stark vererblich ist. Zudem beeinflussen epigenetische Faktoren, also Veränderungen im Zusammenspiel von Genen mit Umweltfaktoren, die Entstehung von Autismus. Einige Umweltfaktoren, bspw. Infektionen der Mutter in der Schwangerschaft, Sauerstoffmangel bei der Geburt oder bestimmte Medikamente während der Schwangerschaft können mit einem erhöhten Autismus-Risiko in Verbindung gebracht werden.

Auch ADHS hat eine starke genetische Komponente, wobei auch hier verschiedene Gene an der Entstehung beteiligt sind. Es gibt aber auch deutliche Hinweise darauf, dass Umweltfaktoren hier eine größere Rolle spielen als bei Autismus. Vorgeburtliche Belastungen wie Stress der Mutter, Rauchen während der Schwangerschaft oder Frühgeburten erhöhen das Risiko für ADHS. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass frühe Kindheitserfahrungen, wie hoher Bildschirmkonsum, fehlende Struktur oder Belastungen durch Stressfaktoren, die Ausprägung von ADHS-Symptomen verstärken können.

Ein weiterer Unterschied ist, dass ADHS mit einem Ungleichgewicht der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin im Gehirn in Verbindung gebracht wird, was einen Einfluss auf die Impulskontrolle und Aufmerksamkeit hat. Auch bei Autismus besteht ein Ungleichgewicht im Erregungs- und Hemmungssystem, hierbei spielen besonders Glutamat (erregend) und GABA (hemmend) eine große Rolle, was mit sensorischen Besonderheiten und Problemen in der sozialen Informationsverarbeitung in Verbindung gebracht werden kann. Doch auch das Serotoninsystem scheint anders ausgeprägt zu sein, als bei nicht-autistischen Menschen, was zu Schwierigkeiten in der sozialen Kommunikation und auch der Sensorik führen kann.

Obwohl es also einige Parallelen gibt, wie die starke genetische Veranlagung, unterscheiden sich Autismus und ADHS in der Gewichtung von Umweltfaktoren und den spezifischen neurologischen Mechanismen, die zur jeweiligen Symptomatik führen.

Autismus und ADHS haben viele Überschneidungen, insbesondere in der Art und Weise, wie das Gehirn Informationen verarbeitet. Beide betreffen die Exekutivfunktionen, also die Fähigkeit zur Planung, Impulskontrolle und Organisation. Menschen mit beiden Diagnosen können Schwierigkeiten mit der Reizverarbeitung haben, da ihr Gehirn entweder zu viele oder zu wenige Reize filtert. Dies führt zu einer erhöhten Sensibilität gegenüber Umweltfaktoren wie Geräuschen, Licht oder sozialen Interaktionen. Zudem können viele Betroffene einen Hyperfokus herstellen, also die Fähigkeit, sich intensiv auf ein Thema zu konzentrieren und alles andere auszublenden, allerdings oft auf Kosten der Flexibilität.

Trotz dieser Gemeinsamkeiten bestehen auch erhebliche Unterschiede zwischen Autismus und ADHS, die widersprüchliche Bedürfnisse hervorrufen. Während autistische Menschen oft eine strukturierte und vorhersehbare Umgebung bevorzugen, haben Personen mit ADHS das Bedürfnis nach Abwechslung und neuen Reizen. Dies kann dazu führen, dass eine Person mit AuDHS einerseits feste Routinen schätzt, sich aber andererseits schnell eingeengt oder gelangweilt fühlt. Dieser innere Widerspruch erschwert es deutlich, einen Alltag zu gestalten, der beiden Anforderungen gerecht wird.

Ein weiteres zentrales Problem ist die Reizverarbeitung. Autistische Menschen neigen dazu, sensorische Überlastung zu vermeiden, da sie oft empfindlich gegenüber äußeren Einflüssen sind. ADHS-Betroffene hingegen suchen häufig nach Stimulation, da ihr Gehirn sich schnell unterfordert fühlt. Dies kann dazu führen, dass eine Person mit AuDHS sowohl Ruhe als auch Bewegung benötigt, was zu einer schwer zu bewältigenden inneren Spannung führt. Beispielsweise kann eine ruhige Umgebung für den autistischen Teil der Person notwendig sein, während der ADHS-Aspekt nach Aktivität und Abwechslung strebt.

Auch im sozialen Bereich treten oft Herausforderungen auf. Menschen mit Autismus haben häufig Schwierigkeiten, soziale Signale zu interpretieren und fühlen sich in sozialen Interaktionen schnell überfordert. Im Gegensatz dazu neigen Menschen mit ADHS zu Impulsivität und einem starken Bedürfnis nach sozialer Interaktion. Diese gegensätzlichen Tendenzen können dazu führen, dass eine Person mit AuDHS sich in Phasen zwischen übermäßiger Geselligkeit und plötzlichem Rückzug bewegt. Dies kann für das Umfeld verwirrend sein und zu Missverständnissen führen, besonders wenn es schnell kippt.

Emotionale Regulation stellt eine weitere Schwierigkeit dar. Menschen mit ADHS erleben Emotionen oft sehr intensiv und impulsiv, während autistische Menschen dazu neigen, ihre Emotionen zu unterdrücken oder Schwierigkeiten haben, sie zu identifizieren. Dies kann dazu führen, dass eine Person mit AuDHS zwischen starken emotionalen Ausschlägen und einer scheinbaren Emotionslosigkeit schwankt. Ein Beispiel ist das plötzliche Aufbrausen in einer stressigen Situation, gefolgt von einem Rückzug in sich selbst, um sich von der emotionalen Überforderung zu erholen.

Diese Gegensätze wirken sich auf viele Bereiche des Lebens aus, insbesondere auf Schule, Beruf und soziale Beziehungen. In schulischen oder beruflichen Umgebungen können Organisationsprobleme auftreten, da Routinen wichtig sind, aber gleichzeitig schwer einzuhalten. Offene Büros oder Klassenzimmer können durch die Vielzahl an Reizen zur Überforderung führen. Zwischenmenschlich kann es schwierig sein, stabile Beziehungen aufzubauen, da die sozialen Impulse zwischen extremer Kontaktfreudigkeit und starkem Rückzugsbedürfnis schwanken.

Um den Alltag mit AuDHS besser zu bewältigen, können verschiedene Strategien hilfreich sein. Eine Kombination aus Struktur und Flexibilität kann helfen, den inneren Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach Routine und Abwechslung auszugleichen. Beispielsweise kann eine strukturierte Tagesplanung mit eingeplanten Zeiten für spontane Aktivitäten und Pausen einen Kompromiss darstellen. Techniken zur Reizregulation, wie das Nutzen von Geräuschunterdrückungskopfhörern oder sensorischen Hilfsmitteln, können ebenfalls helfen, das Nervensystem zu beruhigen.

Soziale Strategien können den Umgang mit anderen erleichtern. Dazu gehört, bewusste Pausen von sozialen Interaktionen einzuplanen, um eine Überforderung zu vermeiden, aber auch Techniken zur besseren Kommunikation einzusetzen. Freunde und Familie über die eigenen Bedürfnisse aufzuklären, kann sehr hilfreich sein, um Missverständnisse zu reduzieren. Emotionale Regulation kann durch therapeutische Ansätze wie kognitive Verhaltenstherapie oder Achtsamkeitsübungen verbessert werden. Auch Bewegung, etwa durch Sport oder Spaziergänge, kann helfen, überschüssige Energie abzubauen und innere Anspannung zu reduzieren.

Letztendlich ist es wichtig, individuelle Strategien zu entwickeln, die den besonderen Anforderungen von AuDHS gerecht werden. Jede Person hat unterschiedliche Stärken und Herausforderungen, daher ist ein persönlicher Ansatz notwendig. Durch eine Kombination aus Selbstakzeptanz, Unterstützung aus dem Umfeld und gezielten Bewältigungsmechanismen kann ein ausgeglicheneres und erfüllteres Leben erreicht werden. Mit mehr gesellschaftlichem Bewusstsein und einem besseren Verständnis für neurodivergente Bedürfnisse kann Menschen mit AuDHS geholfen werden, ihr Potenzial bestmöglich zu entfalten.