Autismus und ‚autistic inertia‘ (autistische Trägheit) bzw. Störung der Exekutivfunktionen
Was sind denn eigentlich die Exekutivfunktionen? Zusammenfassend kann man sagen, dass diese für planvolles und zielgerichtetes Handeln benötigt werden und verschiedene Funktionen umfassen. Man benötigt exekutive Funktionen zum Beispiel, um mit etwas anzufangen, um Handlungen in logischer Abfolge zu gestalten, um mentale Prozesse zu überwachen, um komplexe Aufgaben zu erfassen und zu bearbeiten, um Probleme zu lösen, um bestimmtes Verhalten zu hemmen oder flexibel Strategien zu wechseln und nicht bei ausgeübten (manchmal unerwünschten) Tätigkeiten zu verharren. Es geht darum, kognitive Kontrolle über sein Handeln zu erlangen. Lokalisiert sind diese Kontrollfunktionen im Frontalhirn (vorn am Kopf), genauer gesagt, im präfrontalen Cortex.
Störungen der Exekutivfunktionen sind seit langem unter anderem bekannt bei Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma, nach einem Schlaganfall oder auch bei Demenz. Aber auch psychische Störungen wie Schizophrenie, ADHS oder Autismus können mit Störungen der Exekutivfunktionen einhergehen. Seit Jahren ganz bekannt ist hier die Prokrastination, also das Aufschieben von Aufgaben, bzw. das Aufschieben des Beginnens einer Tätigkeit, oft mit dem Hang zu eher unwichtigen Übersprungshandlungen.
Autistic inertia bedeutet übersetzt ‚autistische Trägheit‘ und gilt als Teil einer Störung der Exekutivfunktionen. Doch was ist mit dieser Trägheit gemeint? Es könnte zum Beispiel der Entschluss gefasst worden sein, die Wohnung aufzuräumen. Doch fehlt der entscheidende Impuls, damit auch wirklich anzufangen. Und auch wenn ganz viel darüber nachgedacht wird und das Vorhaben auch zunehmend Druck und ein schlechtes Gewissen erzeugt, kann einfach nicht damit begonnen werden. Es fühlt sich an, wie in sich selbst und seiner Untätigkeit gefangen zu sein. Dabei hat es nichts mit ‚nicht wollen‘, Faulheit oder den ‚inneren Schweinehund‘ überwinden müssen zu tun, es ist ganz einfach eine Dysregulation der Exekutivfunktionen. Dies kann im Alltag sehr belastend sein, da oft ja nicht nur ein bestimmter Lebensbereich betroffen ist, sondern mehrere. Es kann die Haushaltsführung betreffen, die Nahrungszubereitung, die Hygiene, den Beruf, das Freizeitverhalten und vieles mehr. Menschen mit Depressionen kennen dies sicherlich auch, wenn sie es nicht schaffen, sich ‚zu etwas aufzuraffen‘ und mit einem gewünschten Verhalten zu beginnen, obwohl dies kein Problem darstellt, sobald die depressive Symptomatik wieder in den Hintergrund tritt. Autistische Menschen hingegen können nicht einfach nach Abklingen einer Krankheit die Trägheit ablegen.
Menschen mit Autismus können stundenlang in diesem Wunsch mit etwas Bestimmtem zu beginnen verharren, was ohne Frage sehr frustrierend sein kann und sicherlich auf Dauer den Selbstwert mindert. Oft fällt es schwer, die richtigen Handlungsschritte zu planen, Aufgaben in einzelne Schritte zu zerlegen und zielgerichtet bei der Erledigung von Aufgaben vorzugehen und diese Schritt für Schritt umzusetzen. So kann das Vorhaben ‚Wohnung putzen‘ so komplex sein, dass es schwerfällt, es in einzelne Teilschritte zu zerlegen und vor allem auch, sich zu motivieren und es auszuführen.
Routinen können dabei natürlich hilfreich sein, da in diesen die Vorgehensweise und die einzelnen Handlungsschritte bekannt sind. Hier muss nicht mühsam ein kleinschrittiger Plan entwickelt werden, wie es gelingen kann, bestimmte Handlungen umzusetzen. Auch wird aufgrund der Vertrautheit von Vorgehensweisen viel weniger psychische Energie und Kraft benötigt als es bei neuen oder nicht alltäglichen Aufgaben der Fall wäre.
Beobachtet wird, dass autistische Trägheit bei Stress und unter Mehrfachbelastungen noch zunimmt, wohingegen sie sich bei guter Verfassung und wenig Stresserleben als weniger beeinträchtigend zeigen kann. An manchen Tagen wird sie zum großen Problem, an anderen Tagen ist sie kaum vorhanden. Doch was kann nun helfen, der Schwierigkeit entgegenzuwirken? Eine der besten Lösungen neben der Entwicklung von Routinen scheint es zu sein, sich Unterstützung zu holen. Jemanden, der zur Seite steht und beim Einteilen der Aufgabe in Teilschritte behilflich ist oder ein konkretes Startsignal geben kann. So wie bei Angstpatienten die Anwesenheit eines anderen angstreduzierend auf den Betroffenen wirken kann, kann bei autistic inertia ein anderer oft auch als hilfreicher Begleiter wirken.
Sehr gut verständlich und ausführlich beschrieben, ist ‚autistic inertia‘ auf der schweizer Website Sachendenker.
Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr 2024!