Autistischer Burnout: Wenn gar nichts mehr geht – und auch das schon zu viel ist

Autistischer Burnout: Wenn gar nichts mehr geht – und auch das schon zu viel ist

Autistischer Burnout und warum er nichts mit Schwäche zu tun hat

Es gibt diese Momente, in denen einfach alles zu viel wird. Nicht, weil gerade etwas Dramatisches passiert ist. Sondern weil der ganz normale Alltag, dieses tägliche Funktionieren, dieses ständige Sich-anpassen, so lange so viel Kraft gezogen hat, dass irgendwann einfach nichts mehr da ist. Nicht mal mehr die Kraft, das zu sagen.

Und bei autistischen Menschen passiert genau das ziemlich häufig. Oft, ohne dass jemand in der Umgebung etwas davon mitbekommt. Weil viele so verdammt gut darin sind, sich nichts anmerken zu lassen. Weil viele gelernt haben, wie man sich „normal“ verhält, wie man lächelt, nickt, redet, obwohl man innerlich schon längst auf Pause gedrückt hat.

Und dann, irgendwann, kommt der Punkt, an dem das System runterfährt. Nicht weil man faul ist. Nicht weil man nichts mehr will. Sondern weil man einfach nicht mehr kann.

Das nennt man dann autistischen Burnout. Das klingt erstmal schlimmer, als es ist. Denn so benennbar dieser Begriff auch ist, dahinter steckt etwas sehr Menschliches. Etwas, das viel öfter passiert, als darüber gesprochen wird.

Viele beschreiben das so, als wäre der eigene Akku nicht nur leer, sondern rausgenommen worden. Als wäre der Kopf voller Watte und die Welt plötzlich zu laut, zu hell, zu unklar. Was gestern noch irgendwie ging, die U-Bahn-Fahrt, die Kolleg:innen, das Reden mit anderen, fühlt sich heute an wie ein riesiger Berg, den es zu erklimmen gilt. Und der eigene Körper reagiert manchmal mit Shutdowns, mit Reizüberflutung, mit dem völligen Rückzug aus allem. Nicht aus Desinteresse, sondern weil einfach nichts mehr verarbeitet werden kann.

Was den autistischen Burnout so tückisch macht, ist, dass er von außen oft gar nicht so dramatisch aussieht. Viele von uns funktionieren ja weiter. Oder versuchen es zumindest. Gehen zur Arbeit, telefonieren, erledigen Dinge und merken dabei gar nicht, wie tief sie schon drinstecken in dieser Erschöpfung. Und irgendwann geht es dann nicht mehr. Gar nicht mehr. Alles wird zu viel und die Kraft fehlt für die kleinsten alltäglichen Dinge wie etwa die Selbstversorgung, Hygiene, ganz zu schweigen von der Arbeit.

Das Ganze hat übrigens wenig mit einer klassischen Depression zu tun, auch wenn es manchmal sehr ähnlich aussieht. Aber ein autistischer Burnout fühlt sich anders an. Da ist weniger Hoffnungslosigkeit oder tiefe Traurigkeit. Es ist eher wie ein inneres Abschalten. Ein „Ich kann nicht mehr“ auf Zellebene. Die Reize, die sonst gerade noch so gingen, werden jetzt zu viel. Das Gespräch, das eben noch aushaltbar war, ist jetzt ein Übergriff. Und selbst Lieblingsbeschäftigungen sind zwar im Kopf noch attraktiv, aber im Körper nicht mehr erreichbar.

Und das Tragische ist, dass viele das viel zu spät bemerken. Oder sie glauben, sie hätten einfach versagt. Weil sie ja „funktioniert haben“. Weil alle um sie herum auch müde sind. Weil das Leben eben anstrengend ist. Aber die Wahrheit ist, autistische Menschen leisten im Alltag eine Dauer-Anpassung, die enorm viel Energie kostet. Und die meistens komplett unsichtbar bleibt.

Masking nennt man das, wenn man seine Reaktionen, seine Reize, seine Eigenarten unterdrückt, um in der Welt nicht anzuecken. Es ist wie ein dauerhaftes Schauspiel, das man spielt, damit es niemand merkt. Und das klappt erstaunlich lange. Bis es eben nicht mehr klappt.

Und dann? Dann kommen oft gut gemeinte Ratschläge: „Mach doch mal was Schönes“. „Geh mal raus“. „Such dir ein neues Hobby“. Aber wer mitten im Burnout steckt, kann damit nichts anfangen. Weil es keine Frage von Motivation ist. Sondern von Erschöpfung. Da helfen kein Spaziergang und kein neues Achtsamkeitsritual. Da braucht es vor allem Raum, Ruhe, Reizreduktion und Verständnis.

Therapie kann helfen, klar. Aber auch da ist Fingerspitzengefühl gefragt. Klassische Depressionsbehandlungen mit „mehr Aktivierung“ oder „mehr sozialem Austausch“ können für autistische Menschen in dieser Phase sogar sehr schädlich sein. Weil sie noch mehr überfordern. Noch mehr fordern. Wo eigentlich erst mal Erlaubnis gebraucht wird, sich zurückzuziehen. Und sein zu dürfen, wie man gerade ist.

Was tatsächlich hilft, ist jemand, der da ist, ohne Erwartungen. Der nachfragt, ohne zu drängen. Der sagt, „Du musst gerade nichts. Du darfst einfach sein“. Und irgendwann, wenn ein bisschen Luft da ist, kann man gemeinsam hinschauen, was dich so erschöpft hat. Wo hast du dich überfordert? Welche Situationen kosten dich am meisten Kraft? Und was kannst du tun, um dich künftig besser zu schützen?

Denn autistischer Burnout passiert nicht, weil jemand zu schwach ist. Sondern weil jemand zu lange zu stark war. Zu lange versucht hat, alles mitzumachen. Zu lange seine Bedürfnisse unterdrückt hat, um dazugehören zu können. Und manchmal braucht es genau diesen Punkt, dieses totale “Ich kann nicht mehr”, um zu merken, dass etwas nicht stimmt.

Wenn du selbst gerade in so einer Phase bist, dann lies das hier bitte ganz in Ruhe. Du musst nichts sofort ändern. Aber vielleicht kannst du dir einen Moment erlauben, liebevoll auf dich zu schauen. Zu sehen, WIE VIEL du schon geschafft hast. Und dass dein Körper, dein Kopf, dein ganzes System jetzt einfach sagt, „Pause bitte“.

Das ist kein Rückschritt oder Scheitern, sondern ein Signal. Eins, das du ernst nehmen und dem du folgen darfst.

Vielleicht ist das der Anfang von etwas Neuem, etwas Ehrlicherem. Etwas, das dich wirklich meint. Nicht die Version von dir, die sich durch den Tag kämpft. Sondern die echte. Die, die auch müde sein darf. Und leise. Und so ganz anders, aber trotzdem richtig.

Viele meiner autistischen Patient:innen berichten, dass ihnen eine komplette Auszeit sehr gut tut (im Gegensatz zu vielen Menschen mit Depressionen, die oft weiterhin das Leistungsmotiv an erste Stelle setzen und schnell wieder auf die Beine kommen wollen). Das Auszeit-Jahr nach der Schule oder nach dem Ende eines Jobs, ein Sein ohne große Anforderungen wird von den meisten Autist:innen als sehr erholsam und heilend empfunden, wohingegen Menschen mit Depressionen dieses nicht so genießen können.

Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn man an seine Grenzen kommt. Schon gar nicht, wenn man so lange so viel getragen hat. Autistischer Burnout passiert nicht aus dem Nichts. Er ist das Ergebnis von viel zu viel Anstrengung über viel zu lange Zeit. Wer das erkennt, kann beginnen, sich neu auszurichten. Nicht zurück in die alte Form, sondern nach vorne. In eine Lebensweise, die besser passt. Die leiser ist und klarer und weniger gegen sich selbst gerichtet.